Chinesische Medizin aus den Klassikern
Nüke Baiwen – 100 Fragen zur Frauenheilkunde
von Udo Lorenzen
"Es verhält sich so: Chong (Mai) bildet das Meer des Blutes, Ren (Mai) beherrscht den Mutterleib. Das Yin ist still, das Meer ist voll, diese zwei verlassen sich aufeinander. Deshalb gibt es Kinder".
Qi Zhong Fu
4. Frage
Die Antwort lautet:
Es heißt, Ren und Gui sind die Himmelsstämme des Nordens und des Wassers. Ren bildet Yang-Wasser. Gepaart mit (dem Himmelsstamm) Ding wandelt es sich in Holz um. Gui bildet Yin-Wasser. Vereinigt mit (dem Himmelsstamm) Wu wandelt es sich zu Feuer um. Die Klassiker sagen: Es gibt Wasser und Feuer. Sie bestätigen die Zeichen von Yin und Yang. Überdies ist die (verheiratete) Frau ein Sammelplatz von viel Yin. Vermittels des Yin ordnet sich das Yin. Deshalb hat das Wasser den Himmelstamm Gui. Die Frau erreicht (ihre Geschlechtsreife) mit 2 x 7 (Jahren). Das Nieren Qi ist gänzlich gefüllt, Chong und Ren (Mai) fließen ungehindert. Das Blut der Leitbahnen füllt sich allmählich. Zur entsprechenden Zeit steigt (es) herab. Das himmlische echte Qi steigt (nun) besonders herab und unterstützt diese Angelegenheit. Deshalb spricht man vom himmlischen Wasser (Tiangui < ).
Das Neijing sagt: Mit 2 x 7 (Jahren) kommt Gui an. Der Renmai ist durchgängig und der Tai Chongmai ist voll. Die monatliche Angelegenheit kann nun zeitgemäß herabsteigen. Deshalb gibt es Kinder.
Es verhält sich so: Chong (Mai) bildet das Meer des Blutes, Ren (Mai) beherrscht den Mutterleib. Das Yin ist still, das Meer ist voll, diese zwei verlassen sich aufeinander. Deshalb gibt es Kinder.
Erläuterungen:
In diesem Kapitel bemüht sich Qi Zhong Fu, die Voraussetzung des Kinderkriegens bei der Frau zu beschreiben und führt den Begriff Tiangui ein, der modern ungefähr mit "Geschlechtsreife
" übersetzt werden kann. Wir erleben dann ein Feuerwerk kosmologischer Spekulationen, mit dem diese zentrale Idee der chinesischen Medizin erklärt wird.Die zugeordneten Himmelsstämme als Embleme der makrokosmischen Kräfte von Yin und Yang werden in einer bestimmten Ordnung miteinander verknüpft, sodass Holz und Feuer sich entwickeln können. Dieses entspricht der Großen Bewegung Da Yun am Himmel, welche die grundlegende meteorologische Konstellation eines Jahres ausmacht.
"
Die Prinzipien der 5 Bewegungen und 6 Energien sind ebenso selbstverständlich wie das Anschlagen einer Trommel und das darauf folgende Echo des Tones. Ich habe gelernt, dass die Jahre (der Himmelstämme) Jia und Yi von der Bewegung der Erde beherrscht werden, die Jahre (der Himmelsstämme) Yi und Geng von der Bewegung des Metalls beherrscht werden, die Jahre (der Himmelsstämme) Bing und Xin von der Bewegung des Wassers beherrscht werden, die Jahre (der Himmelsstämme) Ding und Ren durch die Bewegung des Holzes beherrscht werden und die Jahre (der Himmelsstämme) Wu und Gui durch die Bewegung des Feuers beherrscht werden." (Suwen, Kap. 66)Diese auch als Phasenenergetik beschriebenen Bewegungen im Makrokosmos sind Konventionen in der chinesischen Medizin, die erst relativ spät in das heterogene Gebäude des Neijing eingefügt worden sind, die Gelehrten vermuten erst in der Tang-Dynastie durch Wang Bing (762 n. Chr.). In dem Einführungsartikel dieser Serie habe ich die Song-Dynastie als die Phase des Aufblühens der Wissenschaften beschrieben und der Wiederbelebung alter Werte, die sich schließlich zum Neo-Konfuzianismus entwickelte als wichtigste geistige Strömung.
Neben dem Huangdi Neijing als wichtigste Autorität für die antike medizinische Literatur Chinas stand mit dem Konzept der kosmologischen Zusammenhänge zwischen Himmel - Erde – Mensch, Wuyun Liuqi = 5 Bewegungen, 6 Energien, ein mächtiges Instrument zur Verfügung, um sowohl physiologische Abläufe im Menschen als auch Krankheiten durch äußere Einflüsse einordnen zu können
Im Nüke Baiwen dient die Phasenenergetik dazu, die biologische Funktion der Frau als Produzentin von Kindern kosmisch zu determinieren.
Fünf Bewegungen Wu Yun
Verknüpfung der Himmelsstämme
zur großen Bewegung Da Yun
im Makrokosmos. Sie bestimmt den
grundlegenden Charakter eines Jahres
Es verbinden sich:1 Jia + 6 Ji = Erde
2 Yi + 7 Geng = Metall 4 Ding + 9 Ren = Holz5 Wu + 10 Gui = Feuer
Sechs Energien Liu Qi
Verknüpfung der Erdenzweige zu sechs energetischen Konstellationen Liu Qi
auf der Erde. Sie bestimmen die klimatische und meteorologische Situation eines JahresEs verbinden sich:
I Zi + VII Wu = Shao Yin
(Herrscher-Feuer)
II Chou + VIII Wei = Tai Yin
(Erde-Nässe)
III Yin + IX Shen = Shao Yang
(Minister-Feuer)
IV Mao + X You = Yang Ming (Metall-Trockenheit)
;V Chen + XI Xu = Tai Yang
(Wasser-Kälte)
;Si + XII Hai = Jue Yin(Holz-Wind)
Die Himmelsstämme Ren und Gui, die beide der Wandlungsphase Wasser zugeordnet sind, werden mit Ding (Feuer-Yin) und Wu (Erde-Yang) verknüpft, so dass Holz und Feuer entstehen. Holz hat die Zahl 8 als Zahlemblem, Feuer die Zahl 7, und so fügt es sich mit himmlischer Gesetzmäßigkeit, dass Männer ihren Reifezyklus vermittels der Zahl Acht und Frauen vermittels der Sieben durchlaufen.
Für die (verheiratete) Frau gilt nun, weil sie eine Menge Yin in sich trägt, dass sich ihr der Wasser-Yin Himmelsstamm Gui
癸 zuordnet. Es gibt Wasser und Feuer, also braucht die Frau den dynamisierenden Faktor der Zahl Sieben für ihre Entwicklung. Sie erreicht ihre himmlische Bestimmung mit 2 x 7 Jahren. Nun ist das Nieren Qi zur Gänze gefüllt, die außerordentlichen Gefäße Chong Mai und Ren Mai sind durchgängig, alle Voraussetzungen für eine Schwangerschaft sind gegeben!An dieser Stelle zitiert Qi Zhong Fu fast wörtlich den Passus Classicus im Neijing Suwen, wo es heißt:
"Mit 2 x 7 Jahren erreicht sie die Geschlechtsreife. Ihr Ren Mai-Gefäß ist nun durchgängig und ihr Chong Mai-Gefäß vollendet (in Fülle). Die Blutungen erscheinen jetzt regelmäßig und das Mädchen kann Kinder bekommen". (Kap. 1).Es ist nicht zufällig, das der Renmai ebenso wie der Wasser-Yang Himmelsstamm Ren heißt, auch die Zeichen sind fast identisch. Ein Mensch ( ebenfalls Ren ) vor dem Himmelsstamm Ren bedeutet dann, eine Last oder Bürde tragen i.S.v. Verantwortung tragen oder ein Amt ausüben. Ist nicht die Bürde einer Schwangerschaft die schwerste Verantwortung, die eine Frau übernehmen kann?
Wenn sich das Blut in den Leitbahnen Ren und Chong Mai genügend angefüllt hat, d.h. genügend Essenzen vorhanden sind, dann kann es herabsteigen, die Menarche setzt ein. Nach der chinesischen Medizin ist dies durchaus ein himmlischer Akt, denn ohne Unterstützung des himmlischen echten Qi Tian Zhen Zhi Qi kann dies nicht stattfinden. Was ist das "himmlische echte Qi
Gemeint ist die Energie des Himmels, die unverfälscht alles Leben auf der Erde konstituiert und schöpferisch wirkt. Ich wage zu behaupten, dass damit ein Synonym von Shen gemeint ist, jener schöpferischen Kraft des Himmels, die sich hier zur rechten Zeit in die Aktivität des weiblichen Reifezyklus einmischt und die Geschlechtsreife einleitet. Deshalb spricht man von Tiangui
Ein anderes zeitgenössisches Buch über Frauenheilkunde aus der Song-Dynastie, das Fu Ren Da Quan Liang Fang sagt hierzu:
"Himmel, damit meint man das Herabsteigen des himmlischen echten Qi; Gui, damit meint man (die Himmelsstämme) Ren und Gui, eine Bezeichnung für Wasser, deshalb spricht man von Tiangui = himmlisches Wasser. Die Leitbahnen sind mit Blut durchtränkt und übervoll. Man nennt es monatliche Angelegenheit, weil das Qi nun gleichmäßig und harmonisch ist und für gewöhnlich alle 30 Tage einmal erscheint, genauso wie auf einen monatlichen Überfluss ein Mangel folgt".
Als himmlische Repräsentanten im Leiblichen der Frau sind es die zwei Wundergefäße Chongmai und Renmai , welche die monatliche Regel einleiten und die Voraussetzung für Nachkommen geben. Erst die Durchgängigkeit des Renmai ermöglicht die Versorgung eines Embryos, erst die Fülle im Chongmai zeigt Essenzen an, die als Blut im Überfluss zeitgemäß herabsteigen und als Jing die Grundlage für ein neues Leben bieten.
Und das ist die Quintessenz der 4. Frage des Nüke Baiwen: der Chong Mai bildet das Meer des Blutes, Ren Mai beherrscht den Uterus. Das Yin ist still, das Meer ist voll, diese zwei verlassen sich aufeinander. Deshalb gibt es Kinder. Das enge Zusammenspiel der beiden Wundergefäße, welche die schöpferische Kraft des Himmels durch Qian und die haftende Kraft des Feuers der Liebe durch Li in der Frau verankern, ist die Voraussetzung für Mutterschaft und damit der biologischen Bestimmung der geschlechtsreifen Frau.
Udo Lorenzen
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