Ein ernster Fall von JingVerlust:

aus einem erotischen Roman der MingDynastie, dem Jin Ping Me oder: die abenteuerliche Geschichte von Xi Men und seinen sechs Frauen, InselVerlag, ohne Jahresangabe

Es war Mitternacht, als sich Xi Men schwer berauscht und schlaftrunken von seinen beiden Begleiterinnen Tai Er und Qin Dong in den Sattel helfen ließ und sich auf den Nachhauseweg machte. In langsamer Gangart ritt er die stille, menschenleere, vom wolkenverhangenen Mond matt erhellte Löwenstraße in westliche Richtung entlang. So war man am westlichen Ausgang der Löwenstraße vor der Marmorbrücke angelangt, die dort über den Kanal führt. Plötzlich spürte Xi Men einen eisigen Hauch, und unter der Brücke her stob einem gespenstigen Schemen gleich ein grauer Nebelwirbel dicht an ihm vorüber. Erschreckt bäumte sich Xi Men’s Pferd in die Höhe und ging, durch einen Peitschenhieb erst recht scheu gemacht, mit Ihm durch. Wie eine flüchtige Wolke jagte es seinem Hause zu, um, schäumend und an den Flanken zitternd, mit einem Ruck vor dem Toreingang stehen zu bleiben.

In kalten Schweiß gebadet, hatte Xi Men während des tollen Rittes weit vornüber auf dem Nacken des Tieres gelegen und sich krampfhaft in seine Mähne verklammert. Mütze und Peitsche hatte er unterwegs verloren. Nun ließ er sich erschöpft in die Arme seiner hilfreich hinzuspringenden Torwärter gleiten. Erst in weitem Abstand trafen abgehetzt und außer Atem seine drei Begleiter ein. Kein Zweifel, das war eine Begegnung mit dem "Herrn der fünf Bahnen" gewesen. Und eine solche Begegnung pflegte in der Regel einen unmittelbar bevorstehenden Todesfall anzukündigen.

Unsicheren Schrittes, schwer auf Dienerschultern gestützt, ließ sich Xi Men zum Pavillon von Goldlotos bringen. Sie hatte auf ihn gewartet und war noch auf. Sie half ihm aus den Kleidern und aufs Lager. So sehr war er von seinem Rausch und von Müdigkeit mitgenommen, daß er nicht einmal imstande war, sich allein zuzudecken. Er fiel augenblicklich in Schlaf, und bald erfüllten seine Schnarchtöne wie fernes Donnerrasseln den Raum.

Goldlotos hatte sich neben ihn gebettet. Anstatt ihm nun seine Ruhe zu gönnen, begann sie, von unersättlicher Lüsternheit getrieben, ihre Finger an seiner Lendenmitte auf und ab gleiten zu lassen. Sein Ding fühlte sich weich und schlapp an wie Watte. Soviel sie an ihm herumspielte, es wolltenicht fest werden. Gar zu gern hätte sie gewußt, mit welcher Frau er heute schon das Lager geteilt hatte.

Jetzt beugte sie sich in knieender Stellung über ihn und versuchte es mit dem Flötenspiel. Aber es zeitigte gleichfalls keine Wirkung. Da verlor sie die Geduld. Sie rüttelte so lange an ihm, bis er erwachte.

"Wo hast du die Pillen von Pater Fan aufbewahrt" fragte sie. "Laß mich doch schlafen! Ich bin müde und mag heute nicht", brummte er verdrießlich. "Aber wann du es durchaus wissen willst, die Pillen steckenin meiner Ärmeltasche; in der goldenen Dose mi dem durchbrochenen Deckel."

Flugs erhob sie sich und durchsuchte seine Ärmeltaschen. Richtig, da war die goldene Dose mit dem in der Mitte herzförmig durchbrochenen Deckel. Sie öffnete, es waren genau noch vier Pillen drin. Sie nahm eine heraus und schluckte sie mit einem Becher angewärmten Weins selber hinunter. Dann füllte sie einen zweiten Becher für ihn voll, und da sie sich einbildete, daß in Anbetracht seines abgekämpften Zustandes eine einzelne Pille vielleicht nicht ausreichend wirken würde, tat sie gleich alle noch übrigen drei Pillen in den Becher. Nun führte sie den Becher an seinen Mund, und schläfrig und trunken,wie er war, goß er achtlos mit geschlossenen Augen den Inhalt hinunter.

Es währte kaum die Zeitspanne, die man zum Ausschlürfen einer Schale heißen Tees brauchte, da machte sich die Wirkung der dreifach genossenen Dosis zu ihrer Genugtuung mit dreifach gesteigerter Kraft geltend. Zum Überfluß bestrich sie ihm auch noch das "Pferdeauge" ergiebig mit der Wundersalbe. Dann kletterte sie auf ihn und lenkte mit sicherer Hand seinen Luststengel in die rechte Bahn. Nie zuvor fühlte sie sich so innig und zutiefst mit ihm verschmolzen wie diesmal, unaussprechlich waren die Wonnen, die sie heute erschauern ließen. Zweimal war bei ihr bereits die Wolke geborsten. Da stellte sich auch bei ihm der erlösende Regen ein. Aber diesmal war es ein Platzregen, und er wollte gar kein Ende nehmen. Und während es anfangs wie Quecksilber aus enger Röhre quoll, gewahrte sie später mit Entsetzen eine trübe blutige Verfärbung. Auch wunderte sie sich, daß er so regungslos dalag und nicht atmete. Eine Ohnmacht hatte ihn befallen. Fünf Taschentücher hatte sie bereitsverbraucht, da stockte endlich der grausige Regen, und er kam wieder zu sich.

Geschätzte Leser, auch Wollust hat ihre Grenzen, und der Vorrat an Manneskraft ist nicht unerschöpflich. Wenn das Öl versiegt, erlischt die Lampe, und kein Mark im Rückgrat bedeutet den Tod.

"Junges Weib, wie lockt dein Leib!
Doch den weichen Leib bewehrt
unsichtbar ein grimmes Schwert.
Zwar nicht droht, blutiger Tod
Nein, an ausgedorrten Lenden
muß der Wüstling kläglich enden
".

Kaum hatte sich Xi Men andern Morgens zum Ankleiden erhoben, da packte ihn abermals ein Schwindel, und bewußtlos brach er zusammen.

Als er wieder zu sich gekommen war, schleppte er sich zu einem nahen Lehnstuhl und ließ sich kraftlos wie ein Greis auf den Polstersitz nieder. Lange Zeit saß er da, den Kopf müde an die Lehne gepreßt. Goldlotos suchte ihm und sich selbst einzureden, seine Schwäche rühre von leerem Magen her, und sie schickte Herbstaster nach einer Kraftsuppe in die Küche. Natürlich plauderte Herbstaster in der Küche, und von der Küche her gelangte rasch die Kunde in die hinteren Gemächer, daß XiMen heute morgen einen Schwindelanfall erlitten habe und umgefallen sei.

Inzwischen war eine Schüssel mit verlockend dampfender Kraftsuppe aus der Küche eingetroffen und vor ihm aufgebaut worden. Aber er hatte kaum davon genippt, da überkam ihn ein Brechreiz, und er ließ sie stehen.

Seine anfängliche Erwartung, nach wenigen Stunden Bettruhe wieder auf der Höhe zu sein, sollte sich als trügerisch erweisen. Am nächsten Tage stellten sich fiebrige Hodenentzündung und schmerzhafte Harnbeschwerden ein. An Aufstehen war nicht zu denken. Mondfrau bestand nunmehr darauf, daß Doktor Yen ins Haus käme.

Er setzte nach beendeter Untersuchung eine bedenkliche Miene auf, murmelte etwas von erschöpfter Nierenkraft, von Brand und Leere im Gehirn und verordnete eine Medizin, die zwar das Schwindelgefühl etwas behob, aber am sonstigen Zustand nichts besserte.

Das Erscheinen seiner drei Freunde belebte den Kranken etwas. Er ließ sich Kissen unter den Rücken stopfen, so daß er aufrecht zu sitzen kam und unternahm auch auf ihren Wunsch den Versuch, in ihrer Gesellschaft etwas zu genießen. Aber kaum hatte er von der Reissuppe gekostet, da wurde ihm wieder übel, und er ließ sich matt zurücksinken.

Mit stiller Befürchtung gewahrten seine Freunde die Veränderungen, die mit ihm vorgegangen waren: den verdächtigen Glanz in seinem Auge, die Röte auf seinen Wangen; und sie hielten es für angebracht, sich bald wieder zu verziehen. Draußen nahm Schnorrer Ying den Leibburschen Tai Er beiseite:

"Bestelle deiner ersten Herrin von mir, ich wäre in großer Sorge um deinen Herrn. Ich riete ihr dringend, Doktor Hu von der Hauptstraße kommen zu lassen. Aber sofort, ehe es zu spät sei."

Tai Er richtete seine Bestellung auch aus, und Mondfrau besprach sich deswegen mit Xi Men. Aber Xi Men wollte von Doktor Hu nichts wissen. Er hätte ja auch damals bei der Erkrankung der Sechsten versagt. Aber Mondfrau meinte, die Sechste sei sowieso dem Tod verfallen gewesen, während diesmal nur eine leichte Erkrankung zu heilen sei, und es könne nichts schaden, Doktor Hu’s Medizin zu probieren.

Also mußte Doktor Hu zur Stelle. Seine Diagnose lautete auf verschleppte Darmvergiftung; aber die Arznei, die er verordnete, erwies sich als ebenso wirkungslos wie ein Steinwurf in den tiefen Ozean.

Nun schickte Mondfrau in ihrer Angst nach dem Senior der Stadtärzte, dem zweiundachtzigjährigen Doktor Hou, der unweit des Kreis Yamens wohnte. Der rüstige Alte erkannte ganz richtig, daß hier eine Hodenentzündung und Harnröhrenverstopfung vorlag, doch seine Rezeptur hatte ebensowenig Erfolg, es bewirkte lediglich eine schmerzhafte eisenharte Versteifung des leidtragenden Körperteils, die während der ganzen Nacht bis zum nächsten Morgen anhielt.

Goldlotos, die an seiner Seite schlief, war in ihrer hemmungslosen Begehrlichkeit unverständig genug, diese Versteifung als Wiedererwachen seiner Manneskraft zu deuten und nach Herzenslust auf ihm herumzurankern, als ob sie eine unempfindliche Wachskerze zwischen ihren Beinen hätte. Natürlich trug das nicht gerade zu seiner Gesundung bei, undam nächsten Tage fühlte er sich elender denn zuvor.

Umsonst war es, daß Mondchen, die sich an diesem Tage einfand, das Krankenzimmer mit zärtlichem Gezwitscher erfüllte und ihm eigenhändig von der mitgebrachten leckeren Taubenkleinsuppe einzuflößen versuchte. Nach wenigen Schlucken mußte er ihr mit schmerzlichem Lächeln wehren. Sein Magen versagte den Dienst.

Auf Empfehlung des Kollegen Hou, der an diesem Tage gleichfalls seine Krankenvisite machte, wurde ein ihm bekannter auswärtiger Arzt, ein Spezialist für Darmvergiftungen, der zufällig bei ihm zu Besuch war, zu Rate gezogen. Zweimal im Laufe des Tages schluckte Xi Men gläubig das von ihm verordnete bittere Gebräu hinunter, mit dem Ergebnis, daß sich sein Zustand nur noch verschlimmerte und er die ganze Nacht hindurchvor Schmerzen kein Auge zutun konnte. Aus rot entzündeten Schwellungen waren offene, ekel schwärende und blutende Wunden geworden.

Nachdem alle ärztliche Kunst somit kläglich versagt hatte, beschloß Mondfrau, es mit dem letzten Mittel, mit magischen Beschwörungen zu versuchen. Da mußte also wieder einmal der blinde Ehemann der alten Liu, Sterngucker Liu, antreten und hinten am Aussichtspavillon seine Teufelsaustreibungstänze aufführen. Und dann wurde der Meister des Dao, Oberpriester Wu vom Nephritkaisertempel, herbeizitiert.

Als er Xi Men’s erschreckend entstelltes und verfallenes Aussehen gewahrte,da sagte er es mit schonungsloser Offenheit gerade heraus:

"Hier gibt es keine Heilung mehr. Wein und Weib haben Eure Manneskraft ausgesogen, verwüstet und erschöpft. Eure Eingeweide sind vom sündigen Feuer der Wollust ausgebrannt. Die Krankheit sitzt zu tief im Leibe, als daß menschliche Kunst noch etwas ausrichten könnte."

Und er lehnte es ab, den magischen Zauber seiner Beschwörungskunstzu leihen. Auf Wunsch von Mondfrau mußte er ihm wenigstens das Horoskop stellen.

Es fiel schlimm genug aus. Noch im ersten Monat dieses Jahres werde sich sein Schicksal erfüllen. Nun war es Xi Men und seinen Frauen klar, daß es keine Hoffnung mehr gab und daß es an der Zeit sei, die letzten Bestimmungen zu treffen. Denn an ein schriftliches Testament hatte er bisher nicht entfernt gedacht.

Einen Tag blieb Xi Men noch zu leben vergönnt. An diesem Tage kamen noch zahlreiche Freunde und Bekannte an das Sterbebett geeilt, um von ihm Abschied zu nehmen. Dann hatte sich sein Schicksal erfüllt. Nach schwerem, mehrstündigem Todeskampf, der um Mitternacht begann und ihn mitunter wie einen Stier aufbrüllen ließ, hatte er in der Frühe des Einundzwanzigsten seinen Lebensodem ausgehaucht. Er war nicht älter als dreiundvierzig Jahre geworden.

"Auf tausendfache Weise ist’s vergönnt,
die drei Zoll Lebensodem anzuwenden.
Doch für uns alle kommt der Tag,
da Pläne und Entwürfe enden!"

Auszug aus dem Buch: Die Wandlungsphase Wasser aus der Serie: Die Wandlungsphasen in der traditionellen chinesischen Medizin